Entwurf zum Urheberrecht in der Wissensgesellschaft: Respekt – aber Respekt ist nicht alles
Aus Bildung und Wissenschaft ist die Klage seit langem bekannt: Die kleinteiligen Ausnahmeregelungen des Urheberrechts in diesem Bereich bieten nur wenig Spielraum für heutiges Lernen, Lehren und Forschen. Nun hat das Justiz- und Verbraucherschutzministerium einen ersten Referentenentwurf für eine Novelle des Urheberrechtsgesetzes (PDF) vorgelegt.
Gott sei Dank, ist man versucht zu sagen: Die seit mehr als zehn Jahren als unsinnig und hemmend wirkenden Regelungen in den Paragrafen 52a (Elektronische Semesterapparate), 52b (Elektronische Leseplätze) und 53a (Kopienversand) sollen nach den Vorstellungen des Ministeriums aus dem Urheberrechtsgesetz gestrichen werden. Aber damit wird für Bildung und Wissenschaft natürlich nicht ein postmoderner wilder Westen des anything goes entstehen.
Der jetzt endlich öffentlich gemachte Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz, kurz UrhWissG – wow!) setzt an die Stelle dieser, primär auf Bildung und Wissenschaft bezogenen Schrankenregelungen nun eine ganze Serie von neuen Regelungen: Neu geschaffen werden sollen die Paragrafen 60a-60h, vereint unter dem Titel „gesetzlich erlaubte Nutzungen für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen“ (Unterabschnitt 4 des Entwurfs). Dieser Unterabschnitt ist der Kern der Reform.
Einzelregelungen statt allgemeiner Ausnahmeregel
Beurteilt man diesen Kern im Lichte dessen, was im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung angekündigt und was von allen Parteien, der Kultusministerkonferenz, dem Bundesrat und vielen Gruppierungen aus Wissenschaft und Gesellschaft erwartet war, nämlich die Einführung einer – einer! – umfassenden Bildungs- und Wissenschaftsschranke, dann hat es zumindest eine Kernspaltung in acht neue Paragrafen gegeben.
Das Ministerium hat sich entschieden „auf das Konzept einer Generalklausel zu verzichten“, wie es im Entwurf heißt. Statt einer allgemeinen, umfassenden Norm, die die Befugnisse im Bildungs und Wissenschaftsbereich regelt, soll es also einen Katalog neuer, spezifischer Regelungen dazu geben.
Bei dieser Frage geht es nicht nur um eine handwerkliche, rechtstechnische Entscheidung. Es ist eine Grundsatzentscheidung. Man wird sie vermutlich in der nun anstehenden Debatte als kleinmütig kritisieren. Der ausführlichen Begründung kann man entnehmen, dass das Ministerium (und nicht nur das Ministerium) wohl zu Recht ziemlich genervt war ob der oft jahrelangen Verhandlungen vor Gericht, wie bislang im Gesetz verwendete unbestimmte Rechtsbegriffe zu interpetieren sind – zum Beispiel die „kleinen Teile“ aus Werken, welche in elektronischen Semesterapparaten verwendet werden dürfen, solange dies „geboten“ ist.
So etwas sei erneut bei jeder Generalklausel, so das Ministerium, zu erwarten, wenn entschieden werden muss, ob eine Nutzungsform oder eine bisherige, sich als nutzlos herausgestellte Regelung entweder durch die Generalklausel gedeckt oder die nutzlose ignoriert werden kann.
Licht und Schatten
Es handelt sich also um eine Auseinandersetzung darüber, was gleichermaßen zukunftsweisender, leicht und allgemein verständlich und inventions- und innovationsfreundlicher ist: eine allgemeine Regelung mit einer einführenden Generalklausel oder eine Serie von Einzelvorschriften, in denen präzise und differenziert angegeben wird, was in welchem Umfang als Nutzung erlaubt ist, und wodurch jede beteiligte Akteursgruppe (Wissenschaft, Bildung, Mittler wie Bibliotheken) genau weiß, was in welcher Schranke wie geregelt ist.
Deutlich wird jedenfalls beim Blick auf den Entwurf: Hier waren Fachleute am Werk, die mit Blick auf eine zeitlich überschaubare Zukunft auf analytische Klarheit und Präzision, mit Präferenz für Rechtssicherheit und eindeutige Normsetzung, auf saubere institutionelle Trennung und nicht zuletzt auch auf Verträglichkeit mit dem europäischen Unionsrecht gesetzt haben, das an vielen Punkten Vorgaben für den deutschen Gesetzgeber macht.
Darüber muss nun intensiv diskutiert werden; denn das sind Entscheidungen, die nicht von oben herab von einigen Spezialisten in einem Ministerium getroffen werden sollten, sondern durch einen breiten Konsens getragen bzw. korrigiert werden müssten. Ob das jetzt noch in der verbleibenden Legislaturperiode geschafft werden kann, darf bezweifelt werden.
Einzelregelungen genau auf Tauglichkeit prüfen
Nun ist selbst der Begriff der allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke auch keine Kuh, die aus der Zivilgesellschaft überwiegend als „heilig“ angesehen würde. Man wird auch – zähnekirschend? – mit diesem Zurückbleiben hinter dem Modell einer allgemeinen Schranke leben können, wenn der jetzige Vorschlag mit seinen acht Paragrafen als Wissenschaftsurheberrecht bezeichnet und der entsprechende Unterabschnitt auch als solcher etikettiert werden könnte.
Aber dann kommt es darauf an, was in den einzelnen Regelungen, die sich, wie erwähnt, jeweils an die verschiedenen Bezugs- bzw. Akteursgruppen wenden, steht – was also wie geregelt werden soll. Dazu kann wenige Tage nach der Veröffentlichung des Entwurfs (mit einem Text einschließlich der Begründung von 53 Seiten) noch nicht gründlich oder gar abschließend Stellung genommen werden. Ein verständliches und in der Begründung imposant ausführliches und reichlich referenziertes, juristisches Werk liegt vor. Es muss nun durchgearbeitet werden.
Also ist diese erste Stellungnahme nur als sehr vorläufig zu werten. Die erste Enttäuschung, dass es keine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke geben soll, wird länger bleiben, aber muss dann nicht zu einem Albtraum werden, wenn man mit den Einzelregelungen wird leben können. Dazu muss und wird sich zeigen, wie offen der Vorschlag jetzt noch ist, ob also an den Einzelheiten nach dem Verzicht auf eine Generalklausel noch gefeilt werden kann.
Richtige Schritte und Lücken im Detail
Da gibt es noch Baustellen. So ist es zum Beispiel nicht nachzuvollziehen, warum in der Regelung zu erlaubten Nutzungen bei Unterricht und Lehre (Paragraf 60a Absatz 2 des Entwurfs) und bei der wissenschaftlichen Forschung (Paragraf 60c Absatz 3) nur Beiträge aus Zeitungen und Zeitschriften, aber nicht die in vielen Disziplinen immer wichtiger werdenden Beiträge in Konferenz-Proceedings erwähnt werden.
Aber es gibt natürlich nicht nur Baustellen. Vieles ist jetzt positiv geregelt, was Stein des Anstoßes für die Kritik an den bestehenden Regelungen war, aber teilweise inzwischen auch schon durch Gerichtsentscheidungen korrigiert wurde. Dazu gehört zum Beispiel
- die folgenreiche Ersetzung der einschränkenden Formulierung erlaubter Nutzungen zur „Veranschaulichung im – im! – Unterricht“ durch „des“ Unterrichts;
- die Erlaubnis der Folgehandlungen wie Speichern und Ausdrucken bei der Nutzung von digitalen Angeboten der Bibliotheken;
- die Klarstellung dessen, was in der gesamten Hierarchie zu den privilegierten Bildungseinrichtungen zu rechnen ist;
- auch die klarstellende Erweiterung des Zitatrechts in Paragraf 51, das für Abbildungen zum Beispiel von Gemälden auch dann gelten soll, wenn deren Reproduktion eigens geschützt sein sollte;
- auch die deutliche Absage an ein Primat vertraglicher Lizenzregelungen der Verlage gegenüber den rechtlichen Bestimmungen im gesamten neuen Unterabschnitt 4;
- ebenso die erkennbare Absicht, bei der Regelung der Vergütung Pauschallösungen für die Abrechnung zu favorisieren. Das dürfte die aktuelle Auseinandersetzung um einen neuen (noch gebrauchten???) Rahmenvertrag zwischen den Bundesländern und der VG Wort bei den elektronischen Semesterapparaten beeinflussen.
Die Liste der Positiva ist damit sicher nicht vollständig.
Liest man intensiv, so dürfte die Liste der zu kritisierenden Punkte sicher genauso lang ausfallen. Darauf soll hier im Detail noch verzichtet werden. Schnellschüsse sind angesichts der enormen Arbeit und der erkennbaren Zuwendung des Ministeriums zu den Bedürfnissen und Erwartungen in Bildung und Wissenschaft und in den Vermittlungs- und Gedächtnisorganisationen nicht angebracht.
Kontrovers: Vergütung und Nutzungsumfang
Hier fällt der Blick etwa auf die problematische Vergütungsregelung in Paragraf 60h, die sich als Schwachstelle und als Hebel der Verlage erweisen dürfte, an den neuen Befugnissen korrigierend und einschränkend zu arbeiten. Gleiches gilt für den Versuch, den Umfang der erlaubten Nutzung zu quantifizieren, der im Referentenentwurf zum Teil großzügiger als in den Urteilen des Bundesgerichtshofs zu den bestehenden Regelungen angesetzt wurde. So sollen für Unterricht und Lehre maximal 25 Prozent eines Werks, für die eigene Forschung sogar 75 Prozent genutzt werden dürfen; bei Bibliotheken wird mit 10 Prozent gearbeitet, was ebenso dann für Museen, Archive und die erfreulicherweise jetzt hinzugenommenen Bildungseinrichtungen gelten soll.
In dieser Hinsicht waren die bisherigen Vorschläge für eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke sicherlich besser: Diese sahen vor, auf eine Quantifizierung ganz zu verzichten. Entscheidend sollte allein sein, was in der Wissenschaft und in den Ausbildungsituationen gebraucht wird. Der Referentenentwurf hat dies zurückgewiesen, weil diese Forderung bislang mit der Formulierung „vom Zweck gerechtfertigt“ begründet worden sei, so bei den Gesetzesvorschlägen des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft und von Katharina de la Durantaye (HU Berlin). Diese Formulierung wurde vom Ministerium als vermeintlich unbestimmter Rechtsbegriff verworfen, wie auch zu Recht die Bedingung der „Gebotenheit“ einer Nutzung bei de la Durantaye.
Auf das „vom Zweck gerechtfertigt“ kann man verzichten; gemeint ist, dass das legitimiert in dem Umfang genutzt werden soll, was der jeweilige Wissenschaftler oder der jeweilige Lehrende für die aktuelle Forschungs-/Lehr- oder Lern-Situation als wichtig oder sogar unverzichtbar einschätzt. Zu Recht wird im Referentenentwurf darauf hingewiesen, dass Nutzungen in Wissenschaft und Bildung ganz anders einzuschätzen sind als auf den allgemeinen Publikumsmärkten zum Beispiel für Musik oder Video, da sie nicht substituierbar sind. 25 Prozent eines Werks sind unangemessene Substitutionen, wenn das ganze Werk gebraucht wird.
Aber wie gesagt: Eine ausführliche, differenzierte und hoffentlich weiterführende Auseinandersetzung mit dem Referentenentwurf steht aus. Zunächst kann der Respekt vor diesem Versuch kaum verhohlen werden. Aber Respekt ist natürlich auch nicht alles.
Dies ist die leicht überarbeitete Version eines Beitrags, der zuerst auf IUWIS – Infrastruktur Urheberrecht für Wissenschaft und Bildung erschienen ist.
1 Kommentar
1 Martin Haspelmath am 16. Januar, 2017 um 16:31
Als Wissenschaftlier in einem international relevanten Fachgebiet kann ich dazu nur sagen: Durch Sci-hub (für kostenlose Zeitschriftenartikel) und bookzz.org ist diese ganze Diskussion hinfällig. Elsevier & Co werden sehr schnell verschwinden, sobald sich das weiter herumspricht, und man wird einsehen, dass nur wissenschaftseigene Publikation ökonomisch sinnvoll ist, weil es keinen Markt gibt.
Was sagen Sie dazu?